Prof. Dr. Wilfried Breyvogel
Das 20. Jahrhundert ist wie keines durch Jugendkulturen in seiner Ästhetik geprägt. Die Wandervögel, 1901 gegründet, bezogen sich in ihrer Ästhetik auf den Jugendstil. Die Halbstarken und Rock ́n ́Roller prägten die Jugendmode der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Punks und Skins beherrschten die Jugendästhetik der Siebziger- und Achtzigerjahre. Techno-Style, Rave- und Clubszene prägten die Neunzigerjahre und haben die Grenzen der Jugend weit überschritten. Der Hip-Hop schob sich parallel dazwischen und ist mit Baggy-Jeans und Kapuzenpulli zum allgegenwärtigen Zeichen einer Szene geworden, die sich endgültig von der Generation der Jackett-Träger absetzt.
Dabei durchläuft jede Jugendkultur einen Prozess von Entstehung (Kreation), Verbreitung bei gleichzeitiger Abwandlung (Diversifikation), Überlagerung, Ausbeutung und Entwertung. Dieser Prozess erfasst die Jugendkultur als ganze aber auch das jeweils Neue, von der Kreation bis zur Entwertung. Eine Theorie des Neuen muss also an den Anfangspunkt, den Ort der Entstehung zurückgehen.
Bei der Suche nach diesem Ort stößt die Forschung regelmäßig auf die Austauschprozesse von Individuen in kleinen Gruppen, ihre Formen der Kommunikation, die besondere Sprache und die Codes, die ihr Erscheinungsbild und die Art ihrer Beziehungen ausmachen. In diesen Ausdrucksformen ist der i.d.R. provokative Widerspruch zum Gegebenen zu finden. Er stabilisiert sich in einer Balance der Gegenseitigkeit in Gruppen und einem entsprechenden Respekt. Die Tatsache, dass es genau darüber zur Provokation von Eltern, Lehrern und Schule kommt, verweist
darauf, dass in diesem kreativen Prozess immer auch Anteile freigesetzt werden, aus denen das noch Unbewusste spricht. Der Kreationsprozess als solcher ist so etwas wie ein Spiel an der
Grenze des Unbewussten und Tabuisierten. So gesehen sind die Jugendkulturen auch immer Prozesse der Freisetzung unbewusster und tabuisierter Handlungs- und Sprachzonen der dominanten Kultur.