Ressourcen
Aus welchen Quellen lebt der Mensch?
Zum Thema
Katarina, Rita, Emma, Vivien, Wiebke, Lothar, Kyrill, Irmela… Wahrlich, wir leben in stürmischen Zeiten, und dies keineswegs nur meteorologisch. Der Sturm der Veränderung hat inzwischen nahezu alle Sektoren der Gesellschaft durcheinander gewirbelt, Wirtschaft und Arbeitsverhältnisse sowieso, aber auch die hinterherhechelnde Politik, unsere Sozialbeziehungen, Lebensstile, den Konsum, die Kommunikations- und Informationsformen und nicht zuletzt auch das Phantom der Werte, jenen ideellen Kitt, der das Auseinanderdriften der Sozialatome verhindern soll. Sogar die Institution Schule ist, mit einer gewissen Zeitverzögerung zwar, dafür aber heftig, vom Furor der Veränderung erfasst.
Ökonomie und Ökologie, Umweltkatastrophen und Klimawandel, begrenzte Rohstoffreserven und die ungleiche, schreiend ungerechte Verteilung von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Lebenschancen, globales Bevölkerungswachstum einerseits und lokale (Über)Alterung der Gesellschaft andererseits, Flexibilisierung der Lebensformen und die Erosion traditioneller Milieus, aber auch die militante Offensive unterschiedlicher Fundamentalismen – die Aufzählung talkshowtauglicher Apokalypsen, die den Beginn des 21. Jahrhunderts kennzeichnen, erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit – all diese Verwerfungen also stellen „uns“ als Individuen, als Gemeinschaft, gar als Menschheit insgesamt vor herkulische Herausforderungen, die rein technisch lösen zu wollen nicht reichte, weil Technik nur eine Seite des eigentlichen Problems ist: Wie können wir leben? Wie wollen wir leben? Können wir so leben, wie wir wollen? Wie dürfen, wie müssen wir leben? Oder anders: Ist das „Verwirkliche dich selbst“, jene verführerische Verheißung der Moderne, mehr als eine Illusion, schlimmer noch, gar die Ursache allen Übels?
Das implodierende Bankensystem – so etwas wie die Polschmelze unserer ökonomischen Basis – verschärft nur die Dringlichkeit dieser Probleme, tritt doch durch die euphemistisch so genannte Finanzkrise die Aporie einer Gesellschaftsordnung umso deutlicher zutage, die allen Fragen nach ihrer leitenden Idee mit der Bereitstellung von immer mehr Gütern ausweichen zu können glaubt. Posierten noch vor einem Jahr Politiker mit besorgten Mienen vor kalbenden Eisbergen, sehen sie nun das Heil einzig in einer verstärkten Ankurbelung des Konsums, ohne Rücksicht auf die Folgen für die Lebensverhältnisse künftiger Generationen. Die Krankheit wird zum Heilmittel ihrer selbst erklärt. Weigerten die Politiker sich allerdings, aberwitzige Summen virtuellen Geldes in einem neuen Kreislauf der Überschuldung zu pumpen, würden sie von ihren Wählern flugs mit Stimmenentzug bestraft. Im Rahmen der herrschenden Verhältnisse handeln unsere Politiker demnach vollkommen vernünftig, verhalten wir uns im Ernstfall doch alle nach der Maxime von Marx (Groucho): Was kümmert mich die Nachwelt, hat die Nachwelt sich je um mich gekümmert? 1 Wir müssen daher, um die Terminologie des anderen Marx (Karl) zu bemühen, den Überbau revolutionieren, wenn wir die Basis nachhaltig verändern wollen.
Grund genug also, dass der Kleine Universitätstag wenigstens für einen Tag ein Refugium der Reflexion bietet, um interdisziplinär über die wahrhaft globale Frage nach den Ressourcen menschlichen und menschenwürdigen Lebens nachzudenken. Die Naturwissenschaften können dabei ihre Fähigkeit einbringen, komplexe „natürliche“ Vorgänge schlüssig zu erklären und deren Verlauf in mathematisch stimmigen Modellbildungen zu extrapolieren. Da aber der sittlich autonome Mensch bei gesunden Beinen sonntagmorgens mit seinem tundratauglichen Allradantrieb zum Bäcker um die Ecke fährt, um seine Liebsten mit frischen Frühstücksbrötchen zu verwöhnen, bedarf die naturwissenschaftliche Perspektive der Ergänzung durch die Beobachtung gesellschaftlicher Mechanismen, um das hier karikierte Umweltverhalten verstehen zu können. Gerade wenn wir davon ausgehen, dass es „so wie bisher nicht mehr weitergehen darf, kann, wird“, ist auch die Kompetenz von Politologen, Sozialpsychologen, Anthropologen und Historikern, Philosophen und Theologen, Kulturwissenschaftlern, Künstlern und Schriftstellern gefragt, wenn schon nicht zur Bewältigung, dann wenigstens zum Verständnis unserer existenziellen Probleme.
Diese knappe Einführung abschließend, seien Aspekte genannt, die einzelne Vorträge, tlw. Auch quer zu den Aufgabenfeldern, verbinden und so dem Anspruch an den Kleinen Universitätstag gerecht werden, ein Gespräch über die Fakultätsgrenzen hinweg zu initiieren.
Beim Thema „Ressourcen“ denkt natürlich jeder als Erstes an die drängenden Energiefragen. Wie stillen wir nach dem absehbaren Ende fossiler Brennstoffe unseren eigenen Energiehunger und den unserer Autos? Der Beitrag von Karin Arnold aus dem naturwissen-schaftlichen Aufgabenfeldes nimmt sich dieser Thematik an. Zu den Grundvoraussetzungen menschlichen Überlebens gehört auch das Wasser. Schon heute leiden weite Regionen der Erde unter extremen Wassermangel, andererseits wird das sprichwörtlich so kostbare Nass verschwendet, als gäbe es keine Knappheit. Kriege um Wasser werden als wahrscheinliche Szenarien für die nächste Zukunft prophezeit. Theodor Strobl fragt: Gibt es Möglichkeiten eines Ausgleichs, einer gerechten Verteilung des Lebensmittels Wasser?
Wohin es führt, wenn der Mensch seinen Lebensraum ausbeutet, zeigt Joachim Hüppe am Beispiel der von uns inzwischen als Erholungsraum geschätzten, in Lied und Gedicht idyllisierten, naturgeschützten und mit Heideschuckenherden konservierten Heidelandschaften, die ja auch unsere nähere Umgebung prägen. Diese naturwissenschaft-liche Perspektive auf das Problem der Ressourcenausbeutung ergänzt der Beitrag von Thomas Knopf aus historischer Sicht. Verhalten wir, die wir den Begriff und das Prinzip der Nachhaltigkeit erfunden haben, uns klüger als frühere Gesellschaften?
Vielleicht nicht klüger, aber möglicherweise weniger naiv als unsere Vorderen sind wir insofern, als uns bewusst ist, dass „Natur“ kein Fixum ist, sondern ein historisch sich wandelndes Wahrnehmungsphänomen. Welche methodologischen Konsequenzen das für eine „Umweltgeschichte“ und ihre historiographische Darstellung hat, untersucht Cornel Zwierlein am Beispiel vormoderner Naturkatastrophen.
Angesichts des Artensterbens gewinnen die ursprünglich vielleicht einmal als biologische Kuriositätensammlung angelegten botanischen Gärten eine neue Bedeutung über den Schau- und Erholungswert für gestresste Großstädter und interessierte Naturfreunde hinaus. Denn in ihnen finden sich möglicherweise Pflanzenarten, die an ihrem Ursprungsort schon nicht mehr vorhanden sind. Ob man diesen Reichtum nutzen kann, fragt Frank Klingenstein.
Ohne Mathematik gäbe es keine Hochkultur, erst recht nicht unsere heutige technische Zivilisation. Wie weit sie Bedingungen der Möglichkeit unserer alltäglichen Daseinsbewältigung bereitstellt, wird Peter Gritzmann aufzeigen. Mathematik ist eine Kunstsprache. Mit der Bedeutung der natürlichen individuellen Sprache für den Einzelnen beschäftigt sich Hans Lösener im ersten Aufgabenfeld.
Wie bewältigen wir die von uns geforderte allzeitig geistige und räumliche Mobilität in Beruf und Privatleben? Wie halten wir uns fit im flexiblen Kapitalismus? Wer auf sich hält, trainiert vielleicht mit seinem persönlichen Mentalcoach, dass der ihn zur Hochleistung trimme; ein anderer setzt möglicherweise auf die Lebensform Kleinfamilie, die gerade in letzter Zeit wieder von publizierenden Spät-Vätern als emotionale Kraftquelle entdeckt wird. Aber können Coach wie Kinder dem Erwartungsdruck gerecht werden? Vom driftenden Leben in der Moderne und dem, was ihm Stabilität gibt, handeln die Vorträge von Brigitte Dorst und Hermann Steinkamp im gesellschaftlichen Aufgabenfeld. Eine kühne Antwort auf die Beschleunigung unseres modernen Lebens läge auch in der bewussten Verlangsamung. Aber gerät man dadurch nicht in Asynchronizität zu seiner Umgebung? Über den Umgang mit der begrenzten Ressource Zeit referiert Bernd Guggenberger im ersten Aufgabenfeld.
Inzwischen lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, die Zahl der so genannten Megastädte mit über 5 Millionen Einwohnern könnte bis 2015 auf über 60 steigen, schätzen Experten. Diese hybriden Agglomerationen stellen eine besondere Herausforderung für ihre Umwelt dar und verlangen auch von ihren Bewohnern, je nach sozialem Status, besondere Strategien des Überlebens. Unter dem Schlagwort „Grenzen des Wachstums“ beschäftigt sich Günter Mertins mit den „Megacities in Lateinamerika“.
Begonnen wurde dieser kursorische Überblick mit Beiträgen, die sich mit basalen materiellen Ressourcen für das menschliche Überleben beschäftigen (Energie, Wasser). Er schließt mit der Nennung der Vorträge, welche die Notwendigkeit immaterieller Lebensmittel, der früher so genannten schönen Künste, für ein menschenwürdiges Dasein hervorheben. Richard Hoppe-Seiler geht der Frage nach, weswegen wir die doch meist für Genuss und planes Verständnis sperrige moderne Kunst brauchen. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen verteidigt den Deutschunterricht, selbst wenn die Wirtschaft mehr Ingenieure fordert und die Schulministerien die Naturwissenschaften forcieren. Thomas Sternberg erläutert am Beispiel Nordrhein-Westfalens, was politisch zur Debatte steht, wenn förderungsbedürftige Kultur staatlich subventioniert werden soll.
Natürlich können selbst fünfzehn Referate das Thema nur beleuchten. Doch hoffen die Organisatoren des Kleinen Universitätstages, auch diesmal für alle Interessenten genügend „Ressourcen“ aufgeboten zu haben, dass sie auf eine Teilnahme nicht verzichten mögen und ihnen die Auswahl der drei zu besuchenden Veranstaltungen schwer falle. Schließlich will der Kleine Universitätstag Anstöße bieten zu selbstständiger eigener Reflexion. Schon allein deshalb darf er nicht erschöpfend sein.
Im übrigen sei verwiesen auf den bereits erschienenen Reader. Er ist über die VHS und das Gymnasium zu beziehen und enthält Texte auch zu Aspekten, die in dem Vortragszyklus nicht berücksichtigt werden konnten.